Queere Räume in Ostberlin von den 70ern bis zur Wende

Frieder Samuel Janz und Melanie Noak

Die 70er und 80er Jahre in der DDR stellten für queere Menschen eine große Herausforderung dar. Da von staatlicher Seite eine Ungleichbehandlung oder gar Diskriminierung queerer Personen zumeist kategorisch verneint wurde, obwohl sie bittere Realität war, gestaltete sich der Aufbau eigener Strukturen, die sowohl einen sicheren Raum nach innen sowie eine politische Repräsentation nach außen bieten konnten als äußerst schwierig. Anträge auf die Zugeständnisse eigener Räume, im engen wie im weiten Sinne, wurden mit Verweis auf die gesellschaftliche Gleichberechtigung abgelehnt. Wo sich dennoch Strukturen bilden konnten, geschah dies nur unter großem Aufwand und durch teils überraschende Strategien. Aufgrund des vergleichsweise liberalen politischen Klimas in Berlin hatte man hier die meisten Aussichten auf Erfolg, weshalb Berlin innerhalb der DDR zum zentralen Bezugspunkt für queere Menschen wurde. Aber auch in größeren Städten wie Leipzig oder Dresden konnten man Räume für sich schaffen.

Die folgenden Ergebnisse unserer Forschung versuchen, die queeren Strukturen und Räume der 70er Jahre bis zur Wendezeit im Osten Berlins aufzuzeigen und zu analysieren. Ein spezieller Fokus liegt dabei darauf, wie und ob Identitäten, die in der Geschichtsschreibung oft ausgeblendet werden, in den Gruppen und Strukturen der damaligen Zeit einen Platz fanden. Dabei sollten einerseits die lesbischen Perspektiven beleuchtet werden, die in der Geschichtsschreibung sowie in den Bewegungen selbst oft hinter den schwulen zurücktreten müssen. Andererseits wollten wir aber auch die Frage stellen, wo und ob auch transgeschlechtliche Menschen in solche Strukturen integriert wurden. Insbesondere, aber nicht nur, was trans Menschen angeht, sind wir dabei oft an die Grenzen dessen gestoßen, was sich rückblickend nachvollziehen lässt. Wo wir aber fündig geworden sind, haben wir versucht, diese Leerstellen zu beleuchten.

Methodisch haben wir uns dabei, ausgehend von einer ausführlichen Aneignung der Sekundärliteratur, in erster Linie intensiv mit den entsprechenden Archivbeständen beschäftigt. Dabei konnten wir auf den Bestand des Spinnbodens und vor allem die große Sammlung des Schwulen Museums zurückgreifen. Durch diese Forschung am Originalmaterial konnten wir einige Lücken füllen, die in der teils sehr überschaubaren Literatur zu dem Themenfeld offengeblieben waren.

Gleichzeitig haben wir uns mit der Tatsache konfrontiert gesehen, dass die Arbeit mit Archivalien nicht alle Perspektiven und Facetten der Vergangenheit abdecken kann. Im Versuch, die Vergangenheit auf diese Weise aufzuarbeiten, sieht man sich mit allerlei Grauzonen, Ambivalenzen und Blindstellen konfrontiert, denen es mit Vorsicht und Sensibilität gerecht zu werden gilt. Der Filter der Akten und Dokumente macht gelebte Realitäten unsichtbar, die auf dem Papier keinen Platz gefunden haben. Allzu klare Interpretationen und Urteile über konkrete Sachlagen müssen also teilweise ausbleiben. Stattdessen kann das Präsentierte als ein Gerüst verstanden werden, um das herum gebaut werden kann, um die zwangsläufigen Zwischenräume zu ergänzen.

Entsprechend den vielfältigen Räumen, die sich queere Menschen in Ostberlin schufen, aneigneten und erdachten und die für sie unterschiedlichste Funktionen erfüllen konnten, verstehen wir Raum nicht als klar definierten und abgegrenzten Begriff. Vielmehr empfinden wir sein breites Bedeutungsspektrum als besonders fruchtbar, um über die hier aufgezeigten queeren Räume zu sprechen, die oftmals mehrere Aspekte dieses Spektrums vereinen. So kann mit Raum der materielle, lokalisierbare Raum gemeint sein, ebenso wie ein mentaler Raum oder etwa ein Diskurs- oder Sozialraum. Die Grenzen dieser Räume sind dabei fließend und können je nach Perspektive variieren. Allen hier untersuchten queeren Räumen ist gemeinsam, dass sie grundsätzlich subversiv und emanzipatorisch und nicht hegemonial strukturiert sind. Sie entsprechen nicht gesellschaftlichen Normen, sondern versuchen vielmehr, diese zu unterwandern und Raum außerhalb des gesamtgesellschaftlichen Sozialraums zu schaffen, der sie jedoch gleichzeitig bedingt. Dabei wurden diese Räume von ihren Akteur:innen nicht zwingend als oppositionell verstanden, sondern vielmehr als als selbstbestimmte Freiräume.

Trotzdem konnten sich die diversen Funktionen, die die queeren Räume für ihre Akteur:innen einnehmen konnten, sowohl nach innen als auch nach außen richten: Sie konnten identitäts- und gemeinschaftsstiftend wirken, als kurzweilige Freizeiträume genutzt werden, aber auch sicheren Raum bieten für Hilfsangebote in Form von Aufklärung, Beratung und Gesprächen. Sie konnten als Diskussionsplattformen dienen, die sich unterschiedlich stark nach außen öffneten, und Zentren der Organisierung und des Aktivismus sein, in denen (gesellschafts-) politische Forderungen nach vorn gebracht wurden.

Weiterführende Literatur:

Dünne, Jörg/Günzel, Stephan: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt a. M. 2006.

Löw, Martina/Steets, Silke/Stoetzer, Sergej: Einführung in die Stadt- und Raumsoziologie, Opladen 2007.

Schroer, Markus: Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raumes, Frankfurt a. M. 2006.

Als maßgeblicher Begriff des Projektes bedarf der Begriff queer, trotz seiner gegenwärtigen Popularität, wohl einer Erläuterung, die seine Verwendung in diesem Kontext rechtfertigt. Gemeint ist im Rahmen des Projektes sowohl eine sexuelle als auch eine geschlechtliche Queerness. Letztere kann in diesem Kontext sowohl Transgeschlechtlichkeit als auch ‚Transvestitismus‘ umfassen.

Als emanzipatorische Aneignung des zuvor primär als Beleidigung genutzten Begriffes bahnte sich die neue Selbstbezeichnung „queer“ erst in den 90er Jahren ihren Weg aus dem US-amerikanischen in den deutschen Diskurs. Ihre Stärke liegt in ihrer Inklusivität und der Fähigkeit, verschiedene Identitäten zu umfassen. So vermag der Begriff einerseits rigide Kategorisierungen zu vermeiden, die der Diversität gelebter Identitäten nicht gerecht werden können, andererseits verschiedene queere „Identitätsgruppen“ in ihrer Gemeinsamkeit zu erfassen. Da das Interesse des Projektes nicht zuletzt auch in den Allianzen, Kooperationen und Gemeinschaftlichkeiten verschiedener Gruppen und Individuen liegt, scheint der Begriff umso angemessener.

Neben dieser Begründung braucht es außerdem eine kritische Reflexion über die Rückprojektion des Begriffes auf eine Zeit, in der dieser im deutschsprachigen Raum noch keine Verwendung fand. Ein solches Unterfangen bietet in der Tat einige Schwierigkeiten. Einerseits lassen sich so Begriffe umgehen, die aus heutiger Sicht schlichtweg nicht mehr zeitgemäß und sogar anstößig erscheinen könnten. Darüber hinaus würde aber eine Ersetzung der damaligen Begrifflichkeiten durch die heutigen deutlich größere Schwierigkeiten mit sich bringen, da diese aufs Engste mit gegenwärtigen Vorstellungen und Konzepten von Geschlecht und Sexualität verknüpft sind. Wenn man bedenkt, dass die 1989 von Nadja Schallenberg gegründete Interessengemeinschaft (siehe IG Trans) nicht nur „Transsexuelle“, sondern explizit auch „Transvestiten“ vertreten wollte, zwei Identitäten, zwischen denen aus heutiger Sicht wohl teilweise sehr scharfe Trennlinien gezogen werden würden, so deutet sich die Historizität der Bedeutungsinhalte solcher Kategorien an. Es ist also, wenn man so will, auch eine Vorsichtsmaßnahme unsererseits, die Bezeichnung queer zu bevorzugen, da es sich durch diese ironischerweise am besten vermeiden lässt, heutige Sinninhalte auf ahistorische Weise in damalige Begrifflichkeiten einzuschreiben. Die Offenheit des Begriffes queer ermöglicht eine historische Aufarbeitung, die den Individuen keine Identitätskategorien aufzwingt, deren Untersuchung im Einzelnen ohnehin nicht den Fokus des Projektes darstellt.

Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, dass, auch wenn wir uns darum bemühen, gewisse Unsichtbarmachungen zu hinterfragen und aufzudecken, wir diesem Anspruch nur in Teilen gerecht werden können. Zwangsweise werden wir gewisse Leerstellen fortschreiben. So gehen wir beispielsweise davon aus, dass an Gruppen für homosexuelle auch bisexuelle Menschen partizipierten. Mit wenigen Ausnahmen, unter anderem dem Gesprächskreis Bisexualität im Sonntags-Club, findet Bisexualität aber kaum Erwähnung, weder in Sekundärliteratur noch in Primärquellen. Diese Problematik sollte also im Hinterkopf behalten werden, wenn wir im Folgenden Quellen zitieren und Informationen übernehmen, in denen bestimmte Identitäten vielleicht nicht explizit erwähnt, aber womöglich doch mitgemeint wurden.

Evangelische Gemeinden spielten für die Lesben- und Schwulenbewegung der 80er Jahre eine wichtige Rolle, war die Kirche doch die einzige Institution in der DDR, die relativ unabhängig vom staatlichen Zugriff agieren konnte. Wollte man sich aktiv kritisch äußern und die Gesellschaftsordnung infrage stellen, war die wohl sicherste Strategie, sich unter das Dach der evangelischen Kirche zu begeben und sich dort Freiräume zu schaffen. So formierten sich Anfang der 80er Jahre mehrere Arbeits- und Gesprächskreise für queere Menschen in Ostberlin, obwohl insbesondere Homosexualität in einigen Gemeinden alles andere als willkommen war.

Auch außerhalb des evangelischen Schutzraumes gab es diverse Bemühungen, sich eigene Räume zu erarbeiten. Was deren Funktion angeht tut sich hier ein weites Spektrum zwischen politischem Aktivismus und, der Intention nach, apolitischer Freizeitgestaltung auf. Diese Diversität spiegelt sich auch in der Vielfalt unterschiedlicher Räumlichkeiten wider, die man nutzte: Inoffizielle Treffs in Privatwohnungen, Cafés oder Kneipen bildeten sich. Gleichzeitig konnten teilweise auch offizielle Räumlichkeiten gewonnen werden, die von staatlicher Seite bereitgestellt wurden. Letzteres blieb jedoch die Ausnahme.

Neben den alltäglichen gesellschaftlichen Diskriminierungserfahrungen erlebten homosexuelle Menschen in der DDR bis 1988 auch eine juristische Diskriminierung. So wurde zum einen der § 175 aus dem Strafgesetzbuch (StGB) des Deutschen Kaiserreichs in der Fassung von 1871 übernommen, um nicht die nationalsozialistische Version beizubehalten, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg in der BRD der Fall war. Gleichwohl stellte der kurze Gesetzestext im selben Atemzug die „widernatürliche Unzucht“ zwischen Männern ebenso wie sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren unter Gefängnisstrafe. Die strafrechtliche Verfolgung einvernehmlichen homosexuellen Geschlechtsverkehrs wurde zwar 1957 eingestellt, der § 175 blieb jedoch weiterhin in Kraft. Er wurde im StGB der DDR außerdem durch den § 175a ergänzt, der unverändert aus dem StGB des Dritten Reichs übernommen wurde. Der Zusatz definierte genauere Tatbestände und deren Strafmaß. Bemerkenswerterweise beziehen sich auch diese nur auf männliche Personen – weibliche Homosexualität war dadurch zwar von Strafen ausgenommen, doch ist die Gesetzeslage gleichzeitig ein Hinweis auf die gänzliche Unsichtbarkeit und Unvorstellbarkeit weiblicher Homosexualität.

Erst 1968 wurden die §§ 175 und 175a abgeschafft und durch § 151 ersetzt, der erstmals in der deutschen Geschichte auch lesbische Beziehungen einschloss. Der neue Paragraf stellte gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen einer erwachsenen mit einer minderjährigen Person unter Strafe und wurde nachweislich auf Frauen und Männer angewandt. Trotz der damit einhergehenden Entkriminalisierung von Homosexualität per se konnte von juristischer Gleichberechtigung keine Rede sein. Während das Schutzalter für heterosexuelle Kontakte bei 16 lag, galt für homosexuelle Handlungen ein Schutzalter von 18 Jahren, weshalb es überhaupt eines eignen Paragrafen bedurfte.

Gleichzeitig wurden junge Menschen noch bis 1969 häufig zu Gesprächstherapien genötigt, wenn ihre homosexuellen Kontakte offenbart wurden. Diese Prozeduren waren mit Psychiatrieaufenthalten in der Nervenklinik der Charité verbunden und sollten die damit pathologisierten Personen von ihrer vermeintlich krankhaften aber heilbaren Homosexualität abbringen.  

Jahre später und wohl aufgrund der Bemühungen der Schwulen- und Lesbenbewegung in den 70er und vor allem 80er Jahren wurde am 14.12.1988 die Streichung des § 151 in der Volkskammer der DDR beschlossen. Dies hatte zwar einen einigermaßen großen symbolpolitischen Wert, zog jedoch keine tatsächlichen gesellschaftlichen Verbesserungen für queere Menschen nach sich.

Literatur:

Kenawi, Samirah: Die Ersten werden die Letzten sein. Thesen zur Lesbenbewegung in der DDR, in: Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt, LSDV Sachsen-Anhalt (Hg.): Lesben und Schwule in der DDR. Tagungsdokumentation, Halle 2008, S. 57-66.

Klöppel, Ulrike: Die ››Verfügung zur Geschlechtsumwandlung von Transsexualisten‹‹ im Spiegel der Sexualpolitik der DDR, in: Time, Justin/Franzen, Jannik (Hg.): trans*_homo. differenzen, allianzen, widersprüche. differences, alliances ,contradictions, Berlin 2012, S. 167-172.

Tammer, Teresa: Die Abschaffung strafrechtlicher Diskriminierung von Homosexuellen in der DDR. Eine deutsch-deutsche Verflechtungsgeschichte?, in: Finzsch, Norbert/Velke, Marcus (Hg.): Queer|Gender|Historiographie. Aktuelle Tendenzen und Projekte (Geschlecht – Kultur – Gesellschaft, Bd. 20), Berlin 2016, S. 483-500.

§ 175 – Widernatürliche Unzucht [1]

Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Tieren begangen wird, ist mit Gefängnis zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.

§ 175 a – Schwere Unzucht zwischen Männern [2]

Mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren, bei mildernden Umständen mit Gefängnis nicht unter 3 Monaten wird bestraft,

1. ein Mann, der einen anderen Mann mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben nötigt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich mit ihm zur Unzucht missbrauchen zu lassen;

2. ein Mann, der einen anderen Mann unter Mißbrauch einer durch ein Dienst-, Arbeits- oder Unterordnungsverhältnis begründeten Abhängigkeit bestimmt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen zu lassen;

3. ein Mann über einundzwanzig Jahren, der eine männliche Person unter einundzwanzig Jahren verführt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen zu lassen;

4. ein Mann, der gewerbsmäßig mit Männern Unzucht treibt oder von Männern sich zur Unzucht missbrauchen läßt oder sich dazu anbietet.

[1] übernommen aus StGB von 1872 s. u.

[2] übernommen aus StGB von 1935 s. u.

[Im Abschnitt „Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen“]

§ 149.

(1) Ein Erwachsener, der einen Jugendlichen anderen Geschlechts zwischen vierzehn und sechzehn Jahren unter Ausnutzung der moralischen Unreife durch Geschenke, Versprechen von Vorteilen oder in ähnlicher Weise dazu mißbraucht, mit ihm Geschlechtsverkehr auszuüben oder geschlechtsverkehrsähnliche Handlungen vorzunehmen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung bestraft.

(2) Die Strafverfolgung verjährt in zwei Jahren.

§ 150.

(1) Ein Erwachsener, der unter Ausnutzung seiner Stellung einen Jugendlichen anderen Geschlechts zwischen vierzehn und sechzehn Jahren, der ihm zur Eiziehung oder Ausbildung anvertraut ist oder der in seiner Obhut steht, zu sexuellen Handlungen mißbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung bestraft.

(2) Ein Erwachsener, der unter denselben Voraussetzungen einen Jugendlichen anderen Geschlechts zwischen sechzehn und achtzehn Jahren zum Geschlechtsverkehr oder zu geschlechtsverkehrsähnlichen Handlungen mißbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung bestraft.

§ 151.

Ein Erwachsener, der mit einem Jugendlichen gleichen Geschlechts sexuelle Handlungen vornimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung bestraft.

§ 152.

Geschlechtsverkehr zwischen Verwandten.

(1) Verwandte in gerader Linie, die miteinander Geschlechtsverkehr durchführen, -werden mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. Jugendliche sind strafrechtlich nicht verantwortlich.

(2) Geschwister die miteinander Geschlechtsverkehr durchführen, werden mit Verurteilung auf Bewährung oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. Bei Jugendlichen kann von Maßnahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit abgesehen werden.

[Im Abschnitt „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“]

§ 175

Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Thieren begangen wird, ist mit Gefängniß zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.

§ 175

(1) Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt, wird mit Gefängnis bestraft.

(2) Bei einem Beteiligten, der zur Zeit der Tat noch nicht einundzwanzig Jahre alt war, kann das Gericht in besonders leichten Fällen von Strafe absehen.

§ 175 a

Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, bei mildernden Umständen mit Gefängnis nicht unter drei Monaten wird bestraft:

1. ein Mann, der einen anderen Mann mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben nötigt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen zu lassen;

2. ein Mann, der einen anderen Mann unter Mißbrauch einer durch ein Dienst-, Arbeits- oder Unterordnungsverhältnis begründeten Abhängigkeit bestimmt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen zu lassen;

3. ein Mann über einundzwanzig Jahren, der eine männliche Person unter einundzwanzig Jahren verführt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen zu lassen;

4. ein Mann, der gewerbsmäßig mit Männern Unzucht treibt oder von Männern sich zur Unzucht mißbrauchen läßt oder sich dazu anbietet.

Am 27.02.1976 erließ der Minister für Gesundheitswesen Ludwig Mecklinger die ‚Verfügung zur Geschlechtsumwandlung von Transsexualisten‘. Obgleich es sich hierbei nicht um ein offizielles Gesetz handelte, war die Verfügung doch die erste förmliche Regelung, die Personenstands- und Vornamensänderungen einen legalen Rahmen gab und geschlechtsangleichende Operationen in der DDR überhaupt erst ermöglichte – zumindest für Erwachsene mit DDR-Staatsbürger:innenschaft oder solche, die in der DDR geboren wurden. Nachdem zuvor nur einzelne Personenstandsänderungen von trans Personen erreicht werden konnten und die Verfügung im internationalen Vergleich recht frühzeitig erlassen wurde, wirkt sie zunächst wie eine progressive Verbesserung. Doch hielt sie zahlreiche Hürden bereit, die trans Menschen einen selbstbestimmten und individuellen Weg letztlich doch versperrten.

So war ein grundlegendes Problem, dass die Verfügung nicht veröffentlicht wurde. Damit war sie lediglich für medizinische Fachkreise zugänglich, nicht aber für die Laien, die diese Informationen benötigt hätten.

Erfuhr dann doch eine Person mit Transitionswunsch von den veränderten Möglichkeiten, musste sie sich zunächst an ihren Hausarzt oder ihre Hausärztin wenden. Wurde das Anliegen dort für berechtigt befunden, wurde der Antrag „mit einer Stellungnahme des betreuenden Arztes dem […] zuständigen Kreisarzt“[1]weitergeleitet. Auf Kreisebene angekommen, wurde der Antrag hier „in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Innere Angelegenheiten“[2], dem Wehrkommando und anderen Abteilungen des Kreisrates in Augenschein genommen. Zusammen mit der hier erfolgten Beurteilung wurde der Antrag sodann an das Ministerium für Gesundheitswesen weitergeleitet, wo eine erneute Überprüfung des Anliegens stattfand.

Diese erfolgte durch eine Expert:innenkommission der Charité Berlin, die ein- bis zweimal pro Jahr zusammenkam, und hatte die Erstellung eines medizinischen Gutachtens zum Ziel. Die Kommission war aus Vertreter:innen folgender Fachgebiete zusammengesetzt: Neurologie/Psychiatrie, Gerichtliche Medizin, Endokrinologie/Genetik, Gynäkologie und Chirurgie. Diese der antragstellenden Person wohl gänzlich unbekannten Menschen sollten anhand verschiedener Untersuchungen, die Betroffene als sehr entwürdigend beschrieben, beurteilen, ob sie eine Transition als medizinisch notwendig erachten oder ob hinter der Transgeschlechtlichkeit der jeweiligen Person ihrer Meinung nach eine verdrängte Homosexualität stecke. Letztere wurde bis in die 80er Jahre von vielen Ärzt:innen als psychiatrisch therapierbar verstanden. Den Untersuchungen lagen also stark heteronormative Vorstellungen zugrunde.  

Stellte die Kommission jedoch die Transgeschlechtlichkeit der antragstellenden Person fest, sollte zunächst die operative Geschlechtsangleichung vollzogen werden, bevor eine Personenstandsänderung möglich sein sollte. Diese Reihenfolge wurde jedoch nicht allen Fällen eingehalten. Trotzdem mussten sich trans Menschen in der DDR, die eine Personenstandsänderung erreichen wollten, demnach nicht nur glaubhaft von Homosexualität abgrenzen, sondern auch einer geschlechtsangleichenden Operation zustimmen. Darüber hinaus war es ratsam, sich als überzeugte sozialistische DDR-Bürger:innen zu präsentieren, gingen die Anträge doch durch mehrere regierungsnahe Institutionen.

Literatur:

Klöppel, Ulrike: Die ››Verfügung zur Geschlechtsumwandlung von Transsexualisten‹‹ im Spiegel der Sexualpolitik der DDR, in: Time, Justin/Franzen, Jannik (Hg.): trans*_homo. differenzen, allianzen, widersprüche. differences, alliances ,contradictions, Berlin 2012, S. 167-172.

Rottmann, Andrea/Bonvin, Aline/Fehlau, Judith (Urheber:innen): Zeitzeug*innen-Interview mit Nadja Schallenberg, Film, FFBIZ – das feministische Archiv e.V., Berlin 2020, in: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/meta-objekt/zeitzeuginnen-interview-mit-nadja-schallenberg-im-rahmen-des-projektes-zeitzeuginnengespraeche—198990-aus-lesbischfeministischer-perspektive/36553ffbiz#?id=36553ffbiz_1&open=&c=&m=&s=&cv= [27.05.2022]

Ministerium für Gesundheitswesen – Der Minister

Verfügung zur Geschlechtsumwandlung von Transsexualisten

vom 27. Februar 1976

Zur Sicherung einer einheitlichen Verfahrensweise bei der Prüfung und Durchführung einer Geschlechtsumwandlung von Transsexualisten lege ich fest:

1. Die Geschlechtsumwandlung von Transsexualisten kann erfolgen

durch ärztliche Feststellung, daß der Transsexualist einem anderen Geschlecht angehört, als im Geburtenbuch eingetragen ist,

b) durch medizinisch-chirurgische Behandlung und anschließende Begutachtung über den Erfolg der Geschlechtsumwandlung.

Sie darf nur bei volljährigen Bürgern der DDR vorgenommen werden.

2. Jeder medizinisch und sozial begründete Antrag einer Patientin bzw. eines Patienten (nachstehend Antragsteller genannt) auf Geschlechtsumwandlung ist mit einer Stellungnahme des betreuenden Arztes dem für den Wohnsitz des Antragstellers zuständigen Kreisarzt zuzuleiten.

3. Der Kreisarzt prüft in Zusammenarbeit mit der Abteilung Innere Angelegenheiten und anderen Abteilungen beim Rat des Kreises sowie mit den Wehrkommando den vorliegenden Antrag. Das Ergebnis ist dem Antrag beizufügen und über den Bezirksarzt an das Ministerium für Gesundheitswesen, Hauptabteilung Medizinische Betreuung, zu übersenden. Der Antragsteller ist über diese Weiterleitung zu unterrichten.

4. Die Prüfung, ob eine Geschlechtsumwandlung entsprechend Ziffer 1 erfolgen kann, wird durch eine vom Ministerium für Gesundheitswesen beauftragte Expertenkommission durchgeführt. Sie besteht aus Vertretern folgender Fachgebiete:

Fachgebiet Neurologie/Psychiatrie

Fachgebiet Gerichtliche Medizin

Fachgebiet Endokrinologie/Genetik

Fachgebiet Gynäkologie

Fachgebiet Chirurgie

5. Die Entscheidung der Expertenkommission ist dem Ministerium für Gesundheitswesen zur Bestätigung zu übergeben. Das Ministerium für Gesundheitswesen informiert den Antragsteller darüber. Gleichzeitig wird bei Vorliegen der medizinischen Notwendigkeit einer chirurgischen Behandlung die festgelegte Chirurgische Klinik mit der Durchführung beauftragt.

6. Das Ministerium für Gesundheitswesen Übermittelt dem Ministerium des Innern die bestätigte Entscheidung der Expertenkommission, daß

a) der Transsexualist einem anderen Geschlecht angehört, als im Geburtenbuch eingetragen ist,

b) die durchgeführte chirurgische Behandlung zu einer Geschlechtsumwandlung geführt hat. Auf dieser Grundlage veranlaßt das Ministerium des Innern die erforderliche Maßnahme zur Änderung des Personenstandes.

7. Antrage von Bürgern anderer Staaten, Westberlinern sowie Staatenlosen, deren Geburt auf dem Territorium der DDR beurkundet wurde, auf Änderung ihres Personenstandes werden durch das Ministerium für Gesundheitswesen in Zusammenarbeit mit der Expertenkommission geprüft, wenn sie durch das Ministerium des Innern zur Bearbeitung übergeben werden. Voraussetzung dafür ist, daß dem Antrag ein aussagekräftiges ordnungsgemäßes medizinisches Gutachten beigefügt ist, das durch entsprechende staatliche Stellen legalisiert ist. Eine ärztliche Begutachtung wegen einer Geschlechtsumwandlung von Bürgern anderer Staaten, Westberlinern und Staatenlosen durch die Expertenkommission des Ministeriums für Gesundheitswesen wird nicht durchgeführt. Die weitere Verfahrensweise regelt sich nach Ziffer 6. Eine chirurgische Behandlung zur Geschlechtsumwandlung erfolgt nicht.