Kirchliche Räume

Während die katholische Kirche Konflikte mit der SED-Regierung eher scheute, avancierten viele evangelische Gemeinden in der DDR zu Sammelbecken für politisch kritische oder oppositionelle Gruppierungen. Auch für die Lesben- und Schwulenbewegung der 80er Jahre spielten evangelische Gemeinden eine wichtige Rolle, war die Kirche doch die einzige Institution, die relativ unabhängig vom staatlichen Zugriff agieren konnte.

Homosexualität entsprach nicht den sozialistischen Moralvorstellungen, die auf der heteronormativen Familie als „kleinste Zelle der sozialistischen Gesellschaft“ [1] basierten. Daher wurden queere Gruppierungen aus Regierungs- und Staatssicherheitskreisen generell kritisch betrachtet. Wollte man sich aktiv kritisch äußern und die Gesellschaftsordnung infrage stellen, war die wohl sicherste Strategie, sich unter das Dach der evangelischen Kirche zu begeben und sich dort Freiräume zu schaffen, aus deren relativer Sicherheit heraus sogar eine zumindest kleine Öffentlichkeit erreicht werden konnte. So ist es nicht verwunderlich, dass sich in evangelischen Gemeinden teils recht aktivistische Arbeitskreise (AKs) zum Thema Homosexualität formierten, die sich auch selbst als oppositionell verstanden. Das führte auch dazu, dass nicht-kirchliche Gruppierungen von kirchlichen queeren Kreisen teilweise als staatsnah wahrgenommen wurden.

Dafür waren jedoch bei weitem nicht alle Gemeinden offen, was für den einen oder anderen AK erhebliche Probleme bei der Raumsuche bedeutete. Da die Kirchenleitung sich zu keiner einheitlichen Linie gegenüber homosexuellen Personen und deren AKs durchringen konnte, traf jede Gemeinde selbst die Entscheidung, ob sich ein solcher AK bei ihr ansiedeln und ihre Räumlichkeiten nutzen durfte. Dabei kam es nach Anfragen von homosexuellen Gruppierungen immer wieder zu deutlichen Ablehnungen. Aufklärerische Bestrebungen wie etwa die Studie ‚Homosexuelle in der Kirche?‘ von der theologischen Studienabteilung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR von 1984 oder der Zeitungsartikel ‚Homosexuelle in der Kirche‘ [2], der am 06. März 1983 in Die Kirche erschien, argumentierten zwar für Gleichberechtigung, Akzeptanz und Vereinbarkeit von Christentum und Homosexualität, machen dadurch aber auch klar, dass genau dies in den kirchlichen Kreisen noch lange nicht realisiert war. Insbesondere in dem genannten Zeitungsartikel wird die Abwehrhaltung einiger Christ:innen deutlich: Hier wird aus homophoben Leser:innenbriefen zitiert, die Meinungen darüber kundtun, ob homosexuelle Menschen einen Platz in der evangelischen Kirche haben sollten. So heißt es etwa erbost:

„Dieser Artikel ist ein Plädoyer für die Homosexuellen! Und damit für eine Sünde, die Gott ein ‚Greuel‘ ist … Aber das Wort ‚Sünde‘ kommt in dem Artikel überhaupt nicht vor.“

Eine andere Person schrieb:

„Homosexualität ist Perversion der Schöpfung! Nach dem Schöpfungswillen Gottes können nur Mann und Weib ‚ein Leib‘ sein, aber nicht Mann und Mann, nicht Frau und Frau.“ 

Trotz dieses teils heftigen Gegenwinds fanden sich Anfang der 80er Jahre einzelne Gemeinden, die den gerade erst entstehenden Gruppierungen ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellten und damit Schutzräume boten für verschiedenste Formate und Bestrebungen.

[1] Präambel des Familiengesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik.

[2] Schwules Museum, Berlin: Zeitungsartikel ‚Homosexuelle in der Kirche‘ (Die Kirche, 06. März 1983), Sammlung DDR Kirchliche AKs Homosexualität, Mappe Nr. 1 – Gesprächskreis Homosexualität.

Literatur:

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (Hg.): Homosexuelle in der Kirche? Ein Text der Theologischen Studienabteilung beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR, Berlin 1985.

Sillge, Ursula: Damals war’s! Zu Bedingungen, Strukturen und Definitionen der lesbisch-schwulen Bewegung in der DDR, in: Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt, LSDV Sachsen-Anhalt (Hg.): Lesben und Schwule in der DDR. Tagungsdokumentation, Halle 2008, S. 109-116.

Schmidt, Kristine: Lesben und Schwule in der Kirche, in: Dobler, Jens: Verzaubert in Nord-Ost: die Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Prenzlauer Berg, Pankow und Weißensee, Berlin 2009, S. 198-220.

AK HOMOSEXUALITÄT

Anfang der 80er Jahre formierten sich in Berlin insgesamt vier Gruppen von und für queere Menschen im kirchlichen Raum: der Gesprächskreis (GK) Homosexualität, der Arbeitskreis (AK) Homosexuelle Selbsthilfe – Schwule in der Kirche (SiK), der AK Homosexuelle Selbsthilfe – Lesben in der Kirche (LiK) und der AK Homosexualität der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG).

Die Initialzündung dafür ging wohl von der Tagung ‚Theologische Aspekte der Homosexualität‘ am 09.02.1982 in Berlin aus, die von der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg ausgerichtet wurde. Hier entstand das erste Mal ein Dialog zwischen queeren Menschen und Kirchenvertreter:innen. Nur kurze Zeit später entstand in Leipzig der erste AK Homosexualität der DDR, woraufhin bereits am 13. April 1982 in Berlin das erste Treffen des GK Homosexualität stattfand. Von diesem ausgehend formierten sich im Jahr darauf sowohl die SiK als auch die LiK. Parallel dazu etablierte sich, ebenfalls nach Leipziger Vorbild, der AK Homosexualität in der ESG in Berlin.

Obgleich sich alle vier Gruppen im kirchlichen Raum bewegten und dessen relative Freiheiten nutzten, waren nicht all ihre Mitglieder dem christlichen Glauben verbunden. Zudem hatten die AKs zwar ähnliche Ziele und Motivationen, verfolgten jedoch teils unterschiedliche Methoden und Strategien bei deren Umsetzung und legten individuelle Schwerpunkte. Gleichzeitig waren sie untereinander ebenso wie mit außerkirchlichen Gruppen gut vernetzt – und das nicht nur innerhalb Ostberlins. Den Gruppennamen und ihren Programmen nach richteten sich alle vier AKs an homosexuelle Menschen. Inwiefern dabei transgeschlechtliche, homosexuelle Personen oder auch bisexuelle Menschen inbegriffen waren, muss offenbleiben.

Literatur:

Kenawi, Samirah: Die Ersten werden die Letzten sein. Thesen zur Lesbenbewegung in der DDR, in: Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt, LSDV Sachsen-Anhalt (Hg.): Lesben und Schwule in der DDR. Tagungsdokumentation, Halle 2008, S. 57-66.

Körzendörfer, Marinka: Getrennt kämpfen, vereint zuschlagen? Das Verhältnis von Lesben und Schwulen innerhalb der BürgerInnenrechts-Bewegung(en) in der DDR, in: Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt, LSDV Sachsen-Anhalt (Hg.): Lesben und Schwule in der DDR. Tagungsdokumentation, Halle 2008, S. 83-87.

Krautz, Stefanie: Lesbisches Engagement in Ost-Berlin (Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag, Reihe Geschichtswissenschaft, Bd. 5), Marburg 2009.

Schmidt, Kristine: Lesben und Schwule in der Kirche, in: Dobler, Jens: Verzaubert in Nord-Ost: die Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Prenzlauer Berg, Pankow und Weißensee, Berlin 2009, S. 198-220.

Tammer, Teresa: Die Abschaffung strafrechtlicher Diskriminierung von Homosexuellen in der DDR. Eine deutsch-deutsche Verflechtungsgeschichte?, in: Finzsch, Norbert/Velke, Marcus (Hg.): Queer|Gender|Historiographie. Aktuelle Tendenzen und Projekte (Geschlecht – Kultur – Gesellschaft, Bd. 20), Berlin 2016, S. 483-500.

Der Gesprächskreis (GK) Homosexualität traf sich das erste Mal am 13. April 1982 in den Räumen der Evangelischen Akademie. Die Veranstaltung lief unter dem Titel ‚Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg. Innere Mission und Hilfswerk. Gesprächskreis Homosexualität‘. Da die Initiative auf positive Resonanz stieß, begab man sich auf Raumsuche und kam fortan regelmäßig in der Philippus-Apostel-Gemeinde in Berlin Mitte, Charitéstraße 2, zusammen. Nach fünf Jahren, im Januar 1987, zog die Gruppe in die Advent-Gemeinde in Prenzlauer Berg, Dimitroffstraße (heute Danziger Straße) 201/203, um, wo sie bis heute besteht.

Ein männlich dominierter Leitungskreis verantwortete und organisierte das Programm aus Gesprächskreisen, Veranstaltungen und Ausflügen. Aus der Veranstaltungsreihe ‚Homosexuelle Selbsthilfe‘ gingen 1983 die Arbeitskreise (AK) Homosexuelle Selbsthilfe – Schwule in der Kirche (SiK) und Lesben in der Kirche (LiK) hervor. Obwohl der GK Homosexualität weniger aktivistisch als diese beiden AKs agierte, verstand er sich dennoch nicht als unpolitisch. Vielmehr wollten die Mitglieder mittels eines dialogischen Umgangs mit nicht queeren Menschen Aufklärung, Akzeptanz und Sichtbarkeit erreichen. So verstand sich der GK als Hilfsangebot und Safer Space zur persönlichen Problembewältigung sowie als Raum des Austauschs und der Begegnung. Das Programm sah entsprechende Gesprächsrunden und Freizeitangebote wie gemeinsame Ausflüge und Rüstzeiten vor. Da die Gruppe jedoch auch offen und sichtbar für den nicht queeren Teil der Gemeinde sein wollte, gab es auch Programmpunkte, die vorrangig nichts mit queeren Themen zu tun hatten. Dazu wurden sogar Kirchenvertreter:innen als Referent:innen eingeladen. Der GK präsentierte sich somit als aktiver Teil der Kirchengemeinde, um „Berührungsängste“ [1] abzubauen. Und tatsächlich waren unter den Teilnehmer:innen solcher Veranstaltungen wohl Christ:innen und Nicht-Christ:innen, Staatsgegner:innen, Blockpartei- und SED-Mitglieder, Homosexuelle und Heterosexuelle.

Ebenso offen wollte die Gruppe gegenüber queeren Menschen sein und betonte in ihren Programmheften immer wieder ihren Einsatz für die Emanzipation sowohl von Schwulen als auch von Lesben – Bisexualität oder Transgeschlechtlichkeit finden keine Erwähnung. Trotzdem kamen spezifisch lesbische Themen – anders als schwule – in den Programmen kaum vor. Am deutlichsten wird diese Ambivalenz wohl im Programm für das erste Halbjahr 1988 [2]: Während einerseits die Förderung von Lesben und Schwulen betont wird, steht der Programmpunkt am 09. Februar 1988 unter dem Titel: „LiK stellen sich unseren Fragen“. Es kann vermutet werden, dass sich „uns“ nicht auf lesbischen Frauen bezieht. So verwundert es auch nicht, dass die Gruppenabende und Veranstaltungen realiter nur vereinzelt von solchen besucht wurden.

Gleichwohl zeigt sich hierin sowie in weiteren Programmheften die Vernetzung der Gruppe zu anderen queeren Räumen in Berlin. Sie kooperierte nicht nur mit den LiK und den anderen kirchlichen AKs, sondern ebenso mit Charlotte von Mahlsdorf. In ihr Gründerzeitmuseum [3] wurden mehrere Ausflüge unternommen und 1987 bot es sich sogar an, einen Vortrag über die Mulackritze vor Ort zu organisieren. Außerdem werben die späteren Programme nicht nur für das lesbisch-schwule Café Binokel, sondern verweisen auch auf den Sonntags-Club [4], der einigen anderen Teilen der queeren Gruppierungen im kirchlichen Raum ansonsten zu staatsnah erschienen.

[1] Schwules Museum, Berlin: GK Homosexualität – Programm 1989, Sammlung DDR Kirchliche AKs Homosexualität, Mappe Nr. 1 – Gesprächskreis Homosexualität.

[2] Schwules Museum, Berlin: GK Homosexualität – Programm 1. Halbjahr 1988, Sammlung DDR Kirchliche AKs Homosexualität, Mappe Nr. 1 – Gesprächskreis Homosexualität.

[3] s. Außerkirchliche Räume

[3] s. Außerkirchliche Räume

Literatur:

Körzendörfer, Marinka: Getrennt kämpfen, vereint zuschlagen? Das Verhältnis von Lesben und Schwulen innerhalb der BürgerInnenrechts-Bewegung(en) in der DDR, in: Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt, LSDV Sachsen-Anhalt (Hg.): Lesben und Schwule in der DDR. Tagungsdokumentation, Halle 2008, S. 83-87.

Schmidt, Kristine: Lesben und Schwule in der Kirche, in: Dobler, Jens: Verzaubert in Nord-Ost: die Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Prenzlauer Berg, Pankow und Weißensee, Berlin 2009, S. 198-220.

Der Arbeitskreis (AK) Homosexuelle Selbsthilfe – Lesben in der Kirche (LiK) war die erste und jahrelang einzige Gruppe speziell für homosexuelle Frauen. Anstoß für die Initiierung war wohl das am 25. März 1982 erlassene Wehrdienstgesetz, nach dem auch Frauen im Fall der Mobilmachung in der Nationalen Volksarmee hätten dienen sollen. Um Möglichkeiten des Protests und der Verweigerung zu diskutieren, trafen sich daraufhin 16 Frauen in einer Privatwohnung, die sich zuvor nur oberflächlich aus Cafés und Kneipen kannten. Obwohl die Zusammenkunft vom Staatssicherheitsdienst aufgelöst wurde, sollte es nicht das letzte Treffen der entstehenden Gruppe sein. Parallel dazu besuchten zwei Lesben mehrere Sitzungen der vom Gesprächskreis (GK) Homosexualität organisierten ‚Homosexuellen Selbsthilfe‘, die sie jedoch als äußerst männlich dominiert empfanden, woraufhin der Wunsch nach einer eigenen Organisation wuchs. Die Suche nach einem Raum in den evangelischen Gemeinden Ostberlins, in dem sich die Gruppe endlich offiziell hätte treffen können, blieb jedoch zunächst erfolglos.

Dank der Vernetzung mit den Schwulen in der Kirche(SiK), die eng mit der Friedensgruppe der Samariter-Gemeinde zusammenarbeiteten, konnten die LiK ab 1983 aber zumindest an der Friedenswerkstatt teilnehmen. Diese jährliche Veranstaltung auf dem Gelände der Erlöser-Gemeinde in Rummelsburg bot ein diverses Programm von Diskussionsrunden, Ausstellungen und Lesungen an. Es waren zudem verschiedene (Friedens-) Gruppen mit Ständen vertreten, die zwischen 1982 und 1987 jedes Jahr 1500-3000 Besucher:innen anzogen. Somit konnten die LiK hier einer etwas weiteren Öffentlichkeit, die nicht einmal nur auf die evangelischen Gemeinden beschränkt war, ihre Anliegen präsentieren und sichtbar werden.

Während der Friedenswerkstatt 1983 gelang es den LiK außerdem, einen Raum für regelmäßige Treffen in der Philippus-Gemeinde in Alt-Höhenschönhausen, Treffurter Straße 10, zu organisieren. Dort trafen sie sich alle zwei Wochen, bis sie Mitte 1984 die Zusage für die zentraler gelegenen Räumlichkeiten der Gethsemane-Gemeinde in Prenzlauer Berg, Gethsemanestraße 9, bekamen. Obwohl sich die Kommunikation mit der Gemeindeleitung wohl recht schwierig gestaltete und diese Zusage halbjährlich erneuert werden musste, waren die LiK hier bis zu ihrer Auflösung 1989/90 ansässig.

Im Vergleich zu den anderen kirchlichen Gruppen waren die LiK weniger hierarchisch strukturiert. So gab es keine Gruppenleitung, sondern lediglich einen Vorbereitungskreis, der das Programm organisierte. Auch bei sogenannten Eingaben, also Beschwerdebriefen, an staatliche Institutionen, die ein wichtiger Teil des Aktivismus der Gruppe waren, unterzeichneten immer alle anwesenden Frauen. Zusätzlich war die Erstunterzeichnerin jedes Mal eine andere Person, da meist lediglich diese zu Gesprächen eingeladen wurde. Diesen Einladungen kamen die LiK jedoch zusätzlich immer als Gruppe nach, obwohl dies unerwünscht war.

Neben politischem Aktivismus für Homosexuellenrechte, Gleichberechtigung und mehr öffentliche Sichtbarkeit weiblicher Homosexualität, war es den LiK ein Anliegen, einen sicheren Raum für Aufklärung, Beratung, Austausch und Beziehungsförderung zu schaffen. Sie wollten einen gemeinschaftlichen Raum kreieren, der zur Freizeitgestaltung, aber auch zu Diskussionen einlud. So setzten sie sich während ihrer Treffen häufig mit der weiblichen Sozialisation und gesellschaftlichen Strukturen auseinander, die ihre Mehrfachdiskriminierung bedingten.

Die wohl bekannteste Aktion der LiK war ihr Besuch der Gedenkstätte Ravensbrück. In dem früheren Konzentrationslager wollte die Gruppe 1984 den homosexuellen und speziell lesbischen Opfern des Nationalsozialismus gedenken. Ein Jahr zuvor fand bereits eine ähnliche Aktion queerer Menschen in der Gedenkstätte Buchenwald statt. Nachdem sich die LiK mit ihrem Anliegen offiziell anmeldeten, konnten sie ihren Kranz zunächst ohne Hindernisse niederlegen und einen Gäst:innenbucheintrag verfassen: „Unsere Gedanken gelten allen Frauen, die im Konzentrationslager Ravensbrück ihr Leben lassen mussten und gelitten haben, insbesondere unseren lesbischen Schwestern. Außerdem gedenken wir allen Frauen, die noch heute unter Faschismus und Unterdrückung leiden müssen. Arbeitskreis Homosexuelle Selbsthilfe Berlin – Lesben in der Kirche.“ Sowohl dieser Eintrag als auch der Kranz mit einer ähnlichen Schleifeninschrift wurden daraufhin umgehend entfernt, wie einige Frauen bei einem erneuten Besuch in den Tagen darauf feststellen mussten. 

Ein Jahr später wagten elf Lesben der Gruppe zum 40. Jahrestag der Befreiung des KZ Ravensbrück einen zweiten, deutlich sichtbareren Anlauf. Die große Öffentlichkeit, die eine derartige Aktion an diesem Tag in der Gedenkstätte auf sich gezogen hätte, sorgte jedoch dafür, dass die von der Blumenverkäuferin des Kranzes verratenen Frauen am Bahnhof Ravensbrück von mehreren Polizisten abgefangen wurden. Nach ihrer Verhaftung wurden sie gewaltsam – sprachlich und physisch – in ein nahegelegenes, leeres Schulgebäude verschleppt und dort stundenlang verhört. Nach diesem Einschüchterungsversuch wurden die Frauen freigelassen, woraufhin sie ein Erinnerungsprotokoll [1] sowie eine Eingabe an das Ministerium des Inneren wegen der „Unmenschlichen Behandlung durch Polizeibeamte“ verfassten.

Schließlich zeigt die Aktion nicht nur die Unerwünschtheit von (lesbischem) Aktivismus und von homosexuellen Menschen als Teil der sozialistischen Erinnerungskultur und damit auch der Mehrheitsgesellschaft, sondern vor allem den Willen der LiK, speziell weibliche Homosexualität auf öffentlicher sowie politischer Ebene sichtbar zu machen. Dabei ging es letztlich darum, mit gemeinschaftlicher Stärke aus dem selbstgeschaffenen, subversiven Raum des AKs herauszutreten und den Raum der Mehrheitsgesellschaft und den gesamtgesellschaftlichen Diskursraum für Lesben und ihre Identität zu öffnen und in Teilen sogar anzueignen.

[1] Schwules Museum, Berlin: Erinnerungsprotokoll, Sammlung Kirchliche AKs Homosexualität, Mappe Nr. 2 – Lesben in der Kirche.

Literatur:

Kenawi, Samirah: Die Ersten werden die Letzten sein. Thesen zur Lesbenbewegung in der DDR, in: Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt, LSDV Sachsen-Anhalt (Hg.): Lesben und Schwule in der DDR. Tagungsdokumentation, Halle 2008, S. 57-66.

Körzendörfer, Marinka: Getrennt kämpfen, vereint zuschlagen? Das Verhältnis von Lesben und Schwulen innerhalb der BürgerInnenrechts-Bewegung(en) in der DDR, in: Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt, LSDV Sachsen-Anhalt (Hg.): Lesben und Schwule in der DDR. Tagungsdokumentation, Halle 2008, S. 83-87.

Krautz, Stefanie: Lesbisches Engagement in Ost-Berlin (Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag, Reihe Geschichtswissenschaft, Bd. 5), Marburg 2009.

Schmidt, Kristine: Lesben und Schwule in der Kirche, in: Dobler, Jens: Verzaubert in Nord-Ost: die Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Prenzlauer Berg, Pankow und Weißensee, Berlin 2009, S. 198-220.

Sillge, Ursula: Unsichtbare Frauen. Lesben und ihre Emanzipation in der DDR, Berlin 1991.

Ab Juli 1983 traf sich der Arbeitskreis (AK) Homosexuelle Selbsthilfe – Schwule in der Kirche (SiK) in der Bekenntnisgemeinde in Alt-Treptow, Plesser Straße 3-4, wo er bis zur Wende bestand. Die Gruppe formierte sich aus der Veranstaltungsreihe ‚Homosexuelle Selbsthilfe‘ des GK Homosexualität und wollte sich spezifisch schwulen Themen widmen. Dabei waren die SiK politisch äußerst aktiv und kritisch. Sie diskutierten die gesellschaftlichen Strukturen, die die Diskriminierung homosexueller Menschen bedingten, kritisierten offen die Nicht-Integration und Nicht-Sichtbarkeit von Homosexualität in der Mehrheitsgesellschaft und strebten nach Aufklärung und Information – sowohl innerhalb der Gruppe als auch über ihre Grenzen hinaus. Sie waren zudem Teil der Friedensbewegung und arbeiteten dazu als inoffizielle Untergruppe der Friedensaktivist:innen der Samariter Gemeinde in Friedrichshain eng mit deren Pfarrer zusammen.

Sie waren außerdem mit verschiedenen anderen queeren Gruppierungen vernetzt. Nach dem Vorbild der LiK plante der AK sogar ebenfalls einen KZ-Besuch mit Kranzniederlegung, der öffentliche Sichtbarkeit schaffen und Einfluss auf die Erinnerungskultur nehmen sollte. Ziel war die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen. Die Aktion wurde jedoch im Vorfeld verboten, so dass lediglich der eigentlich im Anschluss geplante Gottesdienst in der Erlöserkirche in Rummelsburg stattfinden konnte, an dem etwa 100 Personen teilnahmen, darunter auch viele aus den drei weiteren Berliner AKs.

Literatur:

Schmidt, Kristine: Lesben und Schwule in der Kirche, in: Dobler, Jens: Verzaubert in Nord-Ost: die Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Prenzlauer Berg, Pankow und Weißensee, Berlin 2009, S. 198-220.

Die Schwule Jugendgruppe war eine Jugendorganisation des Arbeitskreises Homosexualität – Schwule in der Kirche (SiK). Sie traf sich regelmäßig in den Räumen der Jungen Gemeinde (JG) Baumschulenweg in der Baumschulenstraße 82, einer oppositionellen Jugendarbeitsgruppe der evangelischen Kirche, in der junge systemkritische Christ:innen zusammenkamen. Aus einem Programm der Schwulen Jugendgruppe von 1987 [1] geht hervor, dass die Gruppe sowohl mit den Lesben in der Kirche als auch mit Charlotte von Mahlsdorf vernetzt war und kooperierte. So gab es gegenseitige Besuche, bei denen man mehr voneinander erfahren sowie Perspektiven und Erfahrungen austauschen wollte. 

[1] Schwules Museum, Berlin: Schwule Jugendgruppe – Programm 1987, Sammlung Kirchliche AKs Homosexualität, Mappe Nr. 3a – Schwule in der Kirche (Bekenntnisgemeinde, Plesserstraße, Treptow).

Nachdem der studentische Arbeitskreis (AK) Homosexualität der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) 1987 die Arbeit einstellte, fand sich rasch eine alternative Nutzung der nun freigewordenen Räumlichkeiten in der ESG-Wohnung in der Invalidenstraße 4. Noch im selben Jahr öffnete das unter anderem von den Schwulen in der Kirche initiierte schwul-lesbische Café Binokel das erste Mal seine Pforten für die queeren Menschen Berlins. Beworben wurde der Treffpunkt vor allem in den Programmen verschiedener kirchlicher Gruppen [1]. Das Binokel bot Raum für gemütliche Gespräche bei Tee und Kaffee, lud aber auch zu Tanz und Musik oder literarischen Veranstaltungen ein.

[1] Schwules Museum, Berlin: Schwule in der Kirche – Programm Herbst 1987, Sammlung Kirchliche AKs Homosexualität, Mappe Nr. 3a – Schwule in der Kirche (Bekenntnisgemeinde, Plesserstraße, Treptow).